Die Seiten ab "1964 hat für mich alles begonnen" sollen zeigen, wie es damals war. Es können nur Ausschnitte sein aus den Begebenheiten, an denen ich selbst beteiligt war. Gerne habe ich auch interessante Berichte und Bildmatrial von damals aufgenommen, die Sportkameraden übermittelt haben.
"Ich" schreibe so, wie "ich" es erlebte oder fühlte, deshalb in "Ich-Form".
... hat für mich alles begonnen.
Sieben Jahre davor, im Mai 1957, meldete ich mich freiwillig zur Fallschirmtruppe. 1958 absolvierte ich den Fallschirmspringerlehrgang der Bundeswehr. Vom Fallschirmsport wusste man damals nicht viel, eigentlich nichts.
08. November/ 19. Dezember 1958 bei wochenlangem Schlechtwetter Fallschirm- springer-Lehrgang an der Luftlande- und Lufttrans-portschule (LL/LTS) der Bundeswehr in Altenstadt/ Schongau/Obb. Meine Nr. war 40, die von "Ede" Peter Mohr 32. Meine Springerscheinnummer war die 2133. Erst nach 17 Monaten Dienst-zeit durfte ich zum Springerlehrgang, Ich hatte mich ein Jahr zuvor als Jäger (so hieß der Soldat in der Fallschirmtruppe) nach dem überraschenden Ausfall des Rechnungsführers der Stkp/Kampfgruppe A 9 (später LL-Brigade 25) um diese Stelle beworben und war dann lange Zeit unabkömmlich. Immerhin besetzte ich als einfacher Soldat schon den Dienstposten eines Oberfeldwebels. Meiner Zukunft war dies schon dienlich.
Besetzen unserer "Nora" (Noratlas)
Ein Massen-absprung (12 Maschinen) Ich war nicht dabei, die "großen Kämpfer" waren die anderen.
"Fritze“ Jahnke, ein alter Stabsfeldwebel, war lange in US-Kriegsgefangenschaft und sprach gut englisch, nein „amerikanisch“. Er war unser väterlicher Freund und pflegte die kameradschaftlichen Verbindungen zu den US- Fallschirmjägereinheiten in der Nähe der Luftlandebrigade 25 in Calw.
Zusammen mit dem 509. US-Fallschirmjäger-Bataillon, in Wiesbaden beheimatet, wurde ein Fallschirm-Zielsprung-Wettkampf für eine Zehner-Mannschaft ins Leben gerufen: Zielspringen mit dem kaum steuerbaren Rundkappen-Truppen-Fallschirm T-10 in einen Zielkreis mit 100 m Radius.
Durch „Slippen“, das war das Herunterziehen eines Fangleinenbündels um eine Armlänge auf der Seite, in welche Richtung der Schirm leicht gleiten sollte, erreichte man einen Schub von vielleicht 1 m/sec. Durch „forciertes Slippen“ konnte man schneller an Höhe verlieren, wenn man „zu hoch am Ziel“ war. Dazu zog man ein Fangleinenbündel Hand um Hand übergreifend mehrmals ein, stieg auch mit den Beinen in die Fangleinen, maximal so lange bis die Kappe ihre Tragfähigkeit teilweise verlor, seitlich abschmierte und schnell an Höhe verlor. Unterhalb 100 m über Grund war forciertes Slippen streng verboten.
Militärische Wettkämpfe mit dem automatischen Truppenfallschirm gab es immer und gibt es auch heute noch. Allerdings ist das Ziel nicht mehr ein Zielkreis, sondern eine markierte Linie am Boden, die etwa in der Windachse liegt. Das seitliche Abkommen von der Ziellinie wird als Zielentfernung gemessen (Stand: etwa Jahr 2000).
Mit dem Zielkreis war das schon bedeutend schwieriger. Der richtigen Wahl des Absetzpunktes in Richtung und Entfernung zum Ziel kam besondere Bedeutung zu, denn all zu viel konnte man nicht korrigieren. Die meisten Zielentfernungen der besseren Springer lagen dennoch unter 20 Metern, wenn nicht gerade unter den schlechtesten Windbedingungen gesprungen wurde. Klaus Zeisluft gelang auf dem Fliegerhorst in Laupheim sogar einmal eine saubere Nulllandung. Die Zielscheibe - damals 15 cm Durchmesser - legte man "symbolisch" in die Mitte, mit einem Treffer hatte niemand ernsthaft gerechnet.
1961 bis 1964 nahm ich mehrmals an den vorgenannten "Zielspringen um den Wanderpreis der Fallschirmtruppen in Deutschland" teil und holte 1964 mit der Mannschaft Stab und Stabskompanie/Luftlandebrigade 25 den Wanderpokal nach Calw.
V.l.: L Haubner OF Ziemer F Huy H Hildebrandt SU Kaiserauer SU Findeisen U Hahn vorne: U Wolf, F Scherer, SF Jahnke, OF Englisch, F Klein
Ein Späßchen zur richtigen Zeit war immer möglich. Hier "spazieren" Fw "Jo" Eyermann und SU "Charly" Kaiserauer mit ihren persönlichen Türlasten zur Absetz-maschine.
Der Divisionskommandeur, Generalmajor Walter Gericke, als Pensionär war er später auch Vorsitzender der Fallschirmsportkommission im Deutschen Aero Club, war mit dem aufkommenden Fallschirmsport besonders verbunden. Er gewährte drei Wochen Sonderurlaub, wenn Unteroffiziere oder Offiziere seiner Division auf eigene Kosten den privaten Freilfall-Sport-Lehrgang in Frankreich besuchen würden. Die Verbindungen hatte er geschaffen und einige Unteroffiziere nutzten sie.
Und so ging´s ab nach Lille/Bondues in das dortige „Centre de Parachutisme“. Nach 66 militärischen automatischen Sprüngen kam ich vom 27.04. - 15.05.1964 zu meinen ersten 20 manuellen Sprüngen, langsam aufbauend auf bis zu 20 Sekunden Verzögerung.
Großes X stabil war damals das Ziel.
Im Sommer 1964 fand in Leutkirch/Allg. die Weltmeisterschaft im Fallschirmsport- springen statt. Arndt Hoyer, damals Major an der Luftlande- und Lufttransportschule der Bw in Altenstadt / Schongau, war einer der Fallschirmspringer, die 1955 sofort nach Wiedererlangung der „Lufthoheit“ durch die BRD (1955) in Deutschland Freifall- sprünge vorführten. In der Schweiz hatten ein paar "Extremsportler", so durfte man sie damals getrost nennen, schon vor 1955 das Springen erlernt oder weiter betrieben. Hoyer war zusammen mit dem damaligen Fallschirmhersteller und frühen Pionier des Fallschirmspringens Richard Kohnke (Heidelberg), "Papa-Kohnke" genannt, wohl maßgebend für diese Weltmeisterschaft verantwortlich.
Ein Blick weiter zurück: Arndt Hoyer und Herbert Gillmann aus München waren zwei der „Nachkriegspioniere des Fallschirmsports“. Und man sollte wissen: Damals – wohl vor 1957 - sprang man nur mit einem Fallschirm, der Reservefallschirm war eigentlich unbekannt. Freifall in Rückenlage, die Stoppuhr in der Hand, so sprang man manuell mit nicht all zu viel Verzögerungszeit. Und natürlich öffnete man seinen Fallschirm ziemlich tief, nicht über 300 m. Man hatte ja keinen Zweitfallschirm, was sollte denn auch eine Öffnung in einer größeren Höhe?
Zu denen, die anfangs noch ohne Reservefallschirm sprangen, gehörte auch der "alte Hase" Siggi Herbst . Bild: Freifallübung 1955
Als später der Reservefallschirm „Mode wurde“, so sahen die alten Recken dies, nutzten sie diesen, um bei Schauspringen schnell einen zweiten Sprung machen zu können, einen mit dem Hauptschirm, den zweiten mit der Reserve. Während meiner Grundausbildung im Frühjahr 1957 "sprang da auch mal einer" vor das Haus München in Altenstadt. Es war OLt. Arndt Hoyer; am Rande hatte ich das damals mitbekommen, aber nicht so richtig registriert. Vielleicht hätte ich sonst früher mit diesem Sport begonnen.
Gillmann gründete sehr früh in München einen Verein und bildete fleißig aus. Es war für ihn auch ein guter Nebenerwerb und manches Scheinchen kam dazu, wenn er bundesweit bei Flugtagen seine automatischen Tiefabsprünge aus ca. 100 m mit dem Kohnke-Dreiecksschirm vorführte. Er hatte eine Beinprothese infolge einer Kriegsverletzung und diese Fallschirmsprünge „mit einem Holzbein“ steigerten das Besondere.
Im Sommer 1964 war also die Weltmeisterschaft in Leutkirch. Als frisch gebackener „Freifallspringer“ mit 20 manuellen Sprüngen besuchte ich wenigstens an einem Tag die Wettkämpfe, schätzte die Leistungen ein und nahm mir fest vor, alles zu tun, um bei der nächsten Weltmeisterschaft mit der deutschen Nationalmannschaft dabei zu sein. Mein ehrgeiziges, hoch gestecktes Ziel war Ansporn für alles weitere.
Mein erstes Sprungbuch
Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen. Und so ging es auch den „Fallschirm-Verrückten“ damals. Clubs gab es nur wenige, teuer war es auch, und da sprangen wir dann, so oft es ging, am Wochenende in Straßburg-Polygone beim CIC Alsace, in Schwäbisch Hall bei den Amerikanern. 1964 kam ich so wenigstens noch zu 11 manuellen Sprüngen.
Vor einem Sprung beim CIC Alsace in Straßburg
Helmut Schlecht, in Nagold stationiert, war der erste Freifallspringer der Brigade. Am Wochenende fuhr er per Anhalter nach Nellingen (bei Stuttgart) und manche Strecken ging er auch zu Fuß, um bei den dort stationierten US-Kameraden der „Long Range Patrol Company“ einen Freifallsprung zu ergattern. Er schuf später auch für mich und ein paar weitere Kameraden die Möglichkeit, dort mitspringen zu können.
Im Spätsommer 1964 stellte sich die Frage nach eigenen und besser geeigneten Fallschirmen. Helmut Schlecht war aufgrund seiner guten Verbindungen zu den US-Sportspringern (Militärgruppen) der wichtige Verbindungsmann, um alles über das damals übliche „Umschneidern“ von Rettungsfallschirmen für US-Luftfahrzeug-besatzungen zu Zielsprung tauglichen Sportfallschirmen zu erfahren. Schere, Nadel und Zwirn gehörten damals einfach zur Ausstattung, wenn auch meist die Schneider- arbeiten ein paar getreue Kameraden aus der Fallschirminstandsetzung machten.
Und wie ging das? Sportfallschirme standen nicht zur Verfügung. Lediglich die Nationalmannschaft wurde von "Papa Kohnke" zur Weltmeisterschaft 1964 mit dem Rundkappen-Zielsprungfallschirm der Bezeichnung 10-35/28Ü (5-TU-Fehlbahnen) ausgestattet. Ohne Erfolg, denn die anderen Nationen waren schon bedeutend weiter, die US-Amerikaner z. B. schon mit dem Hochleistungs-fallschirm Para Commander Mark I. Hier ein 7-TU-Model der Franzosen (1965). Also man "besorgte" sich bei den Amerikanern für 200 bis 300 D-Mark (100 bis 150 €) einen ausgemusterten Rettungsfallschirm C9 oder B12 und schneiderte diesen um auf die jeweils gewünschten "Schuböffnungen".
Die Zulassung besorgte man sich aus der Schweiz, "beim Fallschirm-prüfer Fuchs in Dübendorf". Alles nicht (ganz) legal, aber unter Beachtung der damaligen bundes-deutschen Vorschriften wären die Fallschirm-sportler dem internationalen Standard Jahre lang nicht näher gekommen.
Ab Februar 1965 ging´s dann aufwärts, als die zunehmende Unterstützung durch die Bundeswehr begann. Im Rahmen der "Besonderen Sportausbildung" durften wir unter Benutzung der privateigenen manuellen Fallschirme an den militärischen Sprungdiensten teilnehmen.
Bis zur Gründung der "Sportgruppe Heer Fallschirmspringen" war es jedoch noch ein weiter Weg - damals war nicht daran zu denken!